Daniel Hintermann

Der Psalm Ihres Lebens

Türharfe

Haben Sie schon einmal einen eigenen Psalm geschrieben? Die meisten kennen einige Psalmen wie natürlich Psalm 23, Psalm 121, Psalm 139 oder einzelne Psalm-Verse wie «Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?» (Psalm 8,5) oder «Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen» (Psalm 91,11), der ein beliebter Taufspruch ist. Andere Psalmen sind beim ersten Lesen weniger zugänglich, entfalten beim wiederholten Durchgehen aber oft überraschende Einsichten ins Nachdenken eines Psalmbeters über Gott und die Welt. Psalmen können eine Hilfe sein, wenn man um Worte vor Gott ringt. Man kann einen Psalm betend lesen oder meditieren oder den Text auf sich wirken lassen und dann «assoziativ» angeregt ein eigenes Gebet formulieren.
Mich begleiten Psalmen seit vielen Jahren durch mein Leben. Auf sie aufmerksam wurde ich durch Lieder, die ich durch die Cevi-Jugendgruppe in Beinwil am See kennengelernt habe, die in mir nachklangen und ich gerne auf der Gitarre die Begleitgriffe dazu versuchte. «Psalmen weitersingen» – so heisst unsere aktuelle Predigtreihe und tatsächlich sind viele der biblischen Psalmen wohl im Tempel gesungen worden. Der Zugang zum Psalm kann also durch die Melodie eines Psalmliedes, durch den Text oder durch beides geschehen. Ich staune immer noch über den gedanklichen, geistlichen Reichtum im Psalmenbuch. Meinem Tagebuch habe ich im Laufe der Jahre einige kürzere und längere Texte anvertraut, die manchmal ganz direkt Psalmverse aufnehmen und weiterspinnen, manchmal auch ohne Psalm-Bezug eigene Gebetsgedanken in eine psalmähnliche Form gebracht haben. Wenn ich sie wieder lese, sehe ich im Zusammenhang des Tagebuchs meist direkte Bezüge zum damals erlebten Alltag. Wie die biblischen Psalmen sind auch ‘meine Psalmen’ eine Mischung aus Loben, Danken, Klagen und Bitten. Der Klageteil nimmt meist sogar einen grossen Teil ein – wie bei vielen Psalmen der Bibel. Auch die biblischen Psalmen reflektieren Erfahrung mit Gott und Menschen, sind nicht abgehoben oder weltfremd und sprechen mich wohl gerade deshalb so an. Gerade in schweren Zeiten tut es gut, seine Gedanken zu Papier zu bringen, vielleicht erst einmal wirr oder in Form eines «Brainstormings». Das reicht vielleicht auch schon. Manchmal entsteht dann aber aufgrund der Stichworte und Halbsätze ein Text. Ich möchte Ihnen Mut machen, es auch einmal zu versuchen und einen Psalm zu schreiben. Sie müssen ihn ja nicht veröffentlichen oder vorlesen, aber vielleicht hilft Ihnen Ihr Psalm dabei, Worte zu finden fürs Beten oder Nachsinnen über Gott. In Psalmen wie Psalm 23, Psalm 139 oder Psalm 73 kann man ganze Biographien hineindenken oder sie im eigenen Leben verorten. Unsere stammelnden, tastenden Gebete, die wir vor Gott bringen oder unserem Tagebuch anvertrauen, tragen bei zum Psalm unseres Lebens, den Gott mit uns zusammen dichtet, in dem sein Geist uns Worte schenkt, die uns weitertragen, uns Glauben schenken und unsere Hoffnung am Leben erhalten. So wird auch unser Psalm wohl nicht im Klagen bleiben, sondern trotz mancher Schicksalsschläge und vieler offener Fragen doch in Dankbarkeit und Gotteslob münden.

Daniel Hintermann, Pfarrer
Bereitgestellt: 30.05.2023      
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