Daniel Hintermann

Frieden suchen

Otto Pankok, Jesus zerbricht das Gewehr (Holzschni

Bald ein Jahr Krieg in der Ukraine! Hören Sie die Nachrichten vom neusten Raketenangriff auch nur noch mit halbem Ohr? Man gewöhnt sich selbst an den Skandal des Krieges, legt sich ein dickes Fell zu und lebt mit leicht schlechtem Gewissen seine Alltagsroutine. Aber was kann ich Ohnmächtiger denn sonst tun?
Ich frage das als einer, der als Jugendlicher an Friedensdemonstrationen war und vor der Rekrutenschule ein Gesuch für waffenlosen Militärdienst gestellt hat. Weil es abgelehnt wurde, absolvierte ich die Sanitäts-RS mit Pistole, verweigerte den Militärdienst nach drei WKs aber doch noch und sass im Jahr der Einführung des Zivildienstes 1991 zwei Monate im Gefängnis. Leute, die meine pazifistische Haltung kennen, haben mich zu Beginn des Ukraine-Krieges gefragt, ob ich mich denn nicht gegen einen militärischen Angriff wie ihn die Ukraine erlebt, wehren würde. Meine Antwort fällt unbefriedigend aus:

«Ich weiss es nicht!» Persönlich bin ich der Ansicht, dass Gewalt nicht mit Gegengewalt bekämpft werden darf. Natürlich orientiere ich mich dabei an den Worten und dem Vorbild Jesu Christi, v.a. der Bergpredigt. Vorbilder sind für mich z.B. Martin Luther King, Mahatma Gandhi oder der Schweizer «Friedensapostel» Max Dätwyler, die sich geweigert haben in den Kategorien von Rachelogik undMachtpolitik zu denken. Oder können Sie sich Jesus mit einer Waffe vorstellen?

Natürlich verstehe ich andererseits gut, dass man sich wehren will, ja muss, wenn die eigene Existenz und die meiner Familie, ja sogar die all meiner Mitmenschen und meines Landes konkret bedroht ist. Insofern schliesse ich nicht aus, dass sogar ich als Pazifist mich wehren würde, wenn ich, meine Familie und mein Umfeld dieser äussersten Bedrohung ausgesetzt wären. Als Christ/-in befindet man sich hier im ethischen Dilemma: Darf ich einen Menschen umbringen, wenn ich selbst oder mir nahestehende Menschen bedroht sind? Sich zu verteidigen scheint uns mehr als angemessen, ja als gerecht; aber wenn ich mich wehre und einen Menschen töte, mache ich mich schuldig und lasse die Gewaltspirale weiter drehen. Ist das gerecht? Jede Gewalttat, jeder Krieg hinterlässt Opfer – Menschen, die zwar überleben, aber so traumatisiert sind, dass sie nicht normal weiterleben können, sondern seelisch verstümmelt sind. Ein ganzes Volk kann kaum therapiert werden und so bereitet sich der nächste Krieg im Geheimen und manchmal über viele Generationen vor.

Dorothee Sölle fordert uns in ihrem berühmten, am Vorbild Jesu orientierten Text dazu auf, einen «dritten Weg» zu suchen. Ein «dritter Weg», wie ihn z.B. Gandhi gesucht hat, heisst «gewaltloser Widerstand» und fordert viel Überzeugungskraft, fast unmenschliche Geduld, Opferbereitschaft und einen Glauben, der über das eigene Leben hinausgeht. Jesus hat sich nicht gewehrt und sein Leben verloren, aber den Ostersieg gewonnen. Am Kreuz hängend hat er seine Feinde nicht verflucht, sondern ihnen vergeben. Die Kraft der Vergebung ist stärker als jede Rache! In der Ukraine ist man noch weit davon entfernt; ich bete deshalb nicht nur um ein rasches Ende des Krieges, sondern auch um viel Weisheit und Kraft für den äusseren und inneren Wiederaufbau. Lasst uns Friedensstifter sein und unseren Mitmenschen mit Grossmut und Vergebungsbereitschaft begegnen. Unsere Kinder fordern wir beim Streiten zum Friedenmachen auf, sollten wir Grossen es ihnen nicht vormachen?!

Daniel Hintermann, Pfarrer
Bereitgestellt: 31.01.2023      
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